Ein paar Fragezeichen stehen lassen können - diesen Tipp hatte der Gast aus Speyer mitgebracht. Pastoralreferent Felix Goldinger bezog sich dabei zwar auf sein Projekt, das er beim Forum Sozialpastoral am Freitag, 8. Oktober, im Wilhelm-Kempf-Haus in Naurod vorstellte. Aber es passte auch auf die Veranstaltung selbst, die ihre Teilnehmer mit mancherlei Impulsen, aber ohne eindeutige Antworten darauf entließ, wie "Zusammenhalten und Beteiligen" gelingen kann. So lautete das in der Corona-Pandemie verstärkt in den Fokus geratene Thema des Forums, das in bewährter Kooperation vom Dezernat Pastorale Dienste und dem Diözesan-Caritasverband vorbereitet worden war. "Das Solidaritätsgefühl in unserer Gesellschaft ist selbst unter Stress geraten", zitierte eingangs Abteilungsleiterin Dr. Susanne Gorges-Braunwarth den Soziologen Sighard Neckel und stellte die Frage, welche Voraussetzungen es brauche, die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben zu stärken und den Verlierern und Benachteiligten eine Stimme zu geben.
DAS SOZIALE BAND IST IN GEFAHR
Die Pandemie habe die Brüchigkeit von Solidarität und Zusammenhalt ebenso deutlich werden lassen wie die Sehnsucht nach existenzieller Verbundenheit, lautete ihre Einschätzung. Daran knüpfte Prof. Dietmar Wetzel in seinen "Reflexionen in Zeiten der Pandemie" an. Das (gesteigerte) Bedürfnis nach Resonanz, Anerkennung und Wertschätzung hat in seinen Augen eine anthropologische Dimension. Wenn Resonanz fehle, drohe Vereinzelung, Einsamkeit und Isolation und das soziale Band gerate in Gefahr. Der Soziologe von der MSH Medical School Hamburg/Bern beschrieb dabei Resonanz als "Affizierungsverhältnis", das mit Emotion und leiblicher Interaktion einhergehe und eine "Anverwandlung von Welt" sei.
HIN ZU SOZIALER ACHTSAMKEIT
Resonanzerfahrungen können seiner Darstellung nach nicht aktiv hergestellt oder gar erzwungen werden, "aber wir können etwas dafür tun, dass es sie gibt". Neben Philosophie, Kunst und Natur nannte er auch die Religion als "Resonanzachse". Resonanzräume könnten Unterrichtssaal und Konzerthalle ebenso sein wie Kirchen. Ausschlaggebend seien Kriterien wie Auseinandersetzung, Begegnung, Dialog, Kreativität und Expressivität. Engagiert plädierte Wetzel für ein anderes Selbst- und Weltverhältnis: weg vom Instrumentellen, hin zu Resonanz und sozialer Achtsamkeit mit einer Sensibilisierung für Beziehungen. Beim Zugang zu Resonanzräumen gehe es aber auch um Aspekte wie Inklusion und Exklusion, Fragen der Macht und die Gefahr der Instrumentalisierung, gab er abschließend zu bedenken.
EINGELADENE NICHT VEREINNAHMEN
Dass es im Blick auf ehrenamtliches Engagement viele Andockmöglichkeiten an diese Überlegungen gibt, stellte Sandro Frank fest, der zusammen mit Michel Götz von Seiten des Caritasverbandes die Veranstaltung begleitete. Auch für Ehrenamtler sei die Erfahrung von Resonanz von großer Bedeutung, bestätigte Gorges-Braunwarth. Wie das in der Praxis aussehen kann, konnten die Tagungsteilnehmer anhand von vier sehr unterschiedlichen Beispielen lernen. Einer der Ansprechpartner war dabei ein junger Gast aus Frankfurt, Patrick Esch. Der 24-jährige Elektrobauhelfer hat ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei der Jugendkirche Jona in Frankfurt absolviert und sich unter anderem im Begegnungscafé der Steyler Missionsschwestern engagiert.
Ganz im Sinne der vorgetragenen Thesen von Professor Wetzel, bezeichnete er vor allem die Gespräche und die Interaktion mit den Menschen dort "als großen Gewinn". Kirchenräume für externe Initiativen, zum Beispiel rund um Umweltthemen, zu öffnen, so eine Überlegung in der Gruppe, halte er für eine gute Idee, warnte aber vor Vereinnahmung. Was treibt junge Menschen an, sich zu engagieren? Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Leute selbst, sagte Thomas Mohr, Referent der Fachstelle Freiwilligendienste, wobei soziales Engagement immer an Personen gekoppelt sei. Der Annahme, das Engagement der Jungen sei rückläufig, erteilte er dabei eine deutliche Absage: "Das ist so groß wie nie." Junge Leute wollten sich aber eher zeitlich befristet engagieren.
DIVERSITÄT ZULASSEN
Davon ist auch Dirk Wenzel überzeugt, der in einem anderen Workshop die Arbeit von "youngcaritas" vorstellte und dabei unter anderem auf die Schaffung von "Flow-Erlebnissen" setzt. Gemeindereferentin Hella Schröder von St. Martin Lahnstein gab Einblicke in die sozialraumorientierte Pastoral und unterstrich die Bedeutung von multiprofessionellen Teams. Die dadurch entstehende Reibung müsse man sich erhalten, es dürfe keine schleichende Angleichung entstehen, stattdessen müssten die Unterschiede als Bereicherung wahrgenommen werden. Davon ist auch Felix Goldinger, im Bistum Speyer Referent für missionarische Pastoral, überzeugt. Er berichtete von der Netzgemeinde dazwischen, deren Ideengeber und Initiator er ist. "Die Wertschätzung der Andersartigkeit ist von hohem Wert", sagte er. Diversität zulassen, klein anfangen, wachsen lassen - und vielleicht erst einmal unter dem Radar bleiben, lauteten seine Ratschläge für alldiejenigen, die neue Resonanzräume erschließen wollen.
Einige Wünsche dazu gab es aus der Runde vor allem von den Ehrenamtlichen: "Dass man hinein kommen kann, so wie man ist", formulierte eine ältere Teilnehmern und sprach sich für mehr Offenheit aus. Ein Anderer pflichtete ihr bei und beklagte die innere Geschlossenheit der Kirche: "Wir müssen raus gehen, da drinnen gehen die Schwingungen nur noch ins Leere." Dass "man im Miteinander die Resonanzfähigkeit erhöhen kann", präsentierte der Soziologie-Professor in der Schlussrunde als gute Nachricht und ermutigte ausdrücklich dazu, Experimente zu machen und "sich proaktiv irritieren zu lassen".